Ehrlichkeit, die magische Kraft

Ehrlichkeit bedeutet mit hohen Anforderungen an sich selbst zu starten

Wenn wir Ehrlichkeit erwarten, müssen wir auch Ehrlichkeit liefern. Ganz einfach und doch so unfassbar schwierig. Mit Ehrlichkeit können wir unbezahlbar viel gewinnen. Mit Unehrlichkeit fast alles verlieren, vor allem das Vertrauen. Dennoch meinen viele, mit kleinen und großen Lügen weit kommen zu können. Doch Lügen haben kurze Beine, das lehrte mich unbeirrbar schon meine Großmutter Helene.

Wir können nicht ständig die Wahrheit bekämpfen. Diesen Kampf verlieren wir früher oder später.

Falsche (Werbe-) Versprechen

Jeder kennt sie: Werbeversprechen, die nie eingehalten werden können. Zurück bleiben unzufriedene Kunden, die vielleicht mehr der Werbung als ihren eigenen Sinnen trauen. Für viele Firmen bildet dieses das Geschäftsmodel schlechthin, das auch Weltmarken ausmacht.

Denken wir etwa an die Tabakindustrie. Fragwürdige Forschungsstudien tauchten auf, die die ganze Wissenschaft in Verruf brachten. Nicht nur die Institution der Wissenschaft muss daher aufpassen, dass aus ‚Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast‘ nicht zunehmend ‚Glaube keiner Studie, die du nicht selbst gefälscht hast‘ wird.

Versprechen der Zuckerwasser-Industrie verheißen Magie, liefern jedoch kurzfristig eher Insulinschocks und langfristig oftmals Diabetes. Kann jemand wirklich stolz auf seine Erfolge mit und in dieser Branche sein? Dieses Argument ist gewiss nicht neu. Steve Jobs benutzte es in ähnlicher Weise.

Echte Führungskräfte bevorzugen daher Leitungswasser und dieses nicht nur im humoristischen Sinne!

Ehrliche Statements, die wir kaum hören

Aber auch in der direkten Kommunikation ist Ehrlichkeit oftmals abhandengekommen. Statements wie:

  • Es ist mir nicht wichtig genug, weil…
  • Ich vertraue dir/dem nicht, weil…
  • Ich glaube nicht, dass es sich lohnt, weil…

Diese Ehrlichkeit ist selten geworden. Teils weil wir das Gegenüber durch diese Direktheit nicht verletzen wollen. Teils weil wir es uns bequemer machen. Mit ehrlichen Statements machen wir uns selbst angreifbar. Liegt nicht hinter vielen sachlichen Argumenten eine tiefere Wahrheit, eine tiefe Angst, verborgen?

Wir könnten in der Schlacht der Argumente untergehen. Doch kommen wir mit bla, bla, bla wirklich weiter? Verschieben wir damit die Grenzen des Möglichen? Nein, wir benötigen vielmehr eine wahrhaftige Aufrichtigkeit, Offenheit und Fairness in der Schlacht der Argumente. Nur eine ehrliche Auseinandersetzung mit Argumenten für und wider bringt uns und unsere Organisation wirklich nach vorn. Da wo wir hingehören.

Ehrlichkeit uns selbst gegenüber

Die schwierigste Übung ist jedoch sich selbst gegenüber ehrlich zu sein. Kritische Bestandsaufnahme der Selbsttäuschungen ist daher nicht jedermanns Sache. Wir sehen nicht, was wir nicht sehen. Psychologisch werden grundsätzlich bewusste, unterbewusste und unbewusste Selbsttäuschungs-Phänomene unterschieden.

  • Bewusste Selbsttäuschung: Beispielsweise betrügen sich viele selbst mit Suchtmittelkonsum, welcher Art auch immer. Sie lügen sich die Tasche voll, dass es nicht so schlimm sein möge. Selbstzerstörerische Handlungen können jedoch erst aufgegeben werden, wenn diese sich selbst gegenüber als solche eingestanden werden.
  • Unbewusste Selbsttäuschung geschieht beispielsweise durch die Vermeidung unangenehmer oder bedrohlicher Themen. Unwichtiges wird dann zum zentralen Lebensthema. Wir leben an unserem Leben vorbei, ohne dass wir es merken. (Vgl. hierzu Wöller, Wolfgang; Kruse, Johannes (Hrsg.): Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, Stuttgart, 5.Aufl. 2018, S. 215ff).
  • Unterbewusste Selbsttäuschung: Indem wir uns mit unwichtigen und trivialen Themen beschäftigen, lenken wir uns vielleicht ganz stark ab, da unser Gehirn unterbewusst weiß, dass wir den Umgang mit der ganzen Wahrheit derzeit nicht vertragen und wir uns so in große Gefahr begeben würden (abhängige Kinder zum Beispiel).
    Dissoziationen, Spaltungen, Verleugnungen und Externalisierungen stellen damit überlebenswichtige Bewältigungsmechanismen dar. Diese Verhaltensweisen können sich jedoch einprägen und werden oft jahrelang unreflektiert fortgeführt (vgl. ebda S. 424 sowie Fischer G.: Mehrdimensionale Psychodynamische Traumatherapie MPTT. Manual zur Behandlung psychotraumatischer Störungen, Heidelberg 2000).

Jedoch bringt uns Selbsttäuschung nicht dahin, wo wir sein könnten. Und wo wir im tiefsten Herzen auch sein wollen. Unverarbeitete Traumata stellen nicht nur Trigger- und damit Angriffspunkte dar. Sie lenken uns selbst von einem lebenswerten Leben ab. Oder warum sonst resümiert die Mehrheit am Ende ihres Lebens, dass ihr Leben nicht das war, was es hätte sein können, ja sein sollen?

Daher sollten wir uns frühzeitig folgende Fragen stellen:

  • Was versuche ich (vor mir) zu verstecken?
  • Warum?
  • Welche Gefühle möchte ich nicht fühlen?

Nur wenn wir gnadenlos ehrlich auch uns selbst gegenüber sind, können wir uns innerlich sagen hören:

  • Ich habe Angst vor bestimmten Konsequenzen.
  • Großen Veränderungen jagen mir Angst ein.
  • Ich glaube nicht, dass ich die Persönlichkeit habe, um dieses vollbringen zu können.

Erst nach diesem Awareness Awaking, mit dem erwachten Bewusstsein, können wir Probleme richtig angehen. Denn wir wissen genau, dass der einzige Weg aus der Angst heraus, der durch die Angst hindurch ist.

Sich auf die andere Seite der Macht begeben, ist jedoch kein leichter Weg. Nicht abhängig sein, sondern selbstwirksam werden, Schritt für Schritt. Nicht ausschließlich die Opferperspektive einnehmen, sondern auch die Verantwortung für das eigene Leben – Zug um Zug – übernehmen.

If we rewrite our story
we are not longer powerless.
We are powerful.

Lewis howes

Nur mit dieser tiefen Ehrlichkeit lässt sich die Klarheit schaffen, die für ein wirklich erfolgreiches Leben notwendig ist. Dazu gehört auch unsere eigene Geschichte neu zu schreiben.

Ehrlichkeit und Organisationsentwicklungstechnik

Auch Organisationen sind auf diese tiefe Ehrlichkeit angewiesen, um magisch erfolgreich zu sein. Sich gegenseitig etwas vorzumachen, hilft nicht wirklich weiter. Aus Angst vor Veränderungen werden oftmals die notwendigen Schritte nicht unternommen und falsche Argumente vorgeschoben. Viele haben Angst vor dem Verlust ihres Status quo. Viel zu viele trauen sich und der Organisation die Veränderungen schlicht nicht zu.

Die notwendigen Schritte werden nicht frühzeitig antizipiert, sondern zu spät unternommen oder gar ganz verhindert. Probleme werden verdrängt statt diese als Chancen oder gar als Verpflichtungen wahrzunehmen. Ambiguitätskompetenz erfordert vor allem eine ehrliche Bestandsaufnahme. Ohne diese lassen magische Erfolge auf sich warten.

Nur die tiefe Ehrlichkeit uns selbst und den anderen gegenüber, kann zu einer tiefen Klarheit führen. Diese Klarheit sowie Verantwortungsübername verknüpft mit Gestaltungsfreude und Mut unterscheidet die wenigen magisch erfolgreichen Persönlichkeiten von der großen Mehrheit.

Und auch in den Organisationen sind wir auf diese Persönlichkeiten so sehr angewiesen. Wir brauchen Menschen, die sich vor Problemen nicht wegducken oder gar den Kopf in den Sand stecken, sondern diese proaktiv angehen.

I like problem solving.

Probleme sind dazu da, um gelöst zu werden. Das setzt eine ehrliche Bestandsaufnahme voraus. Wir müssen uns nur trauen.

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