Die sich abzeichnende Krise erfordert von uns als Gesellschaft, als Organisation und auch persönlich Veränderungen, von einem lang nicht da gewesenen Ausmaß. Wie erkennen wir die große Chance der Krise? Und wie verhalten wir uns richtig?
Im Krisenmanagement lautet die Regel Nummer eins: handeln und zwar unverzüglich. Die Priorisierung der Handlungen bei einer Krise erfordert Verhaltensmuster und Konzepte bestimmt von Grundwerten des gesellschaftlichen Zusammenlebens, die viel zu lang nicht mehr gedacht worden sind.
Medizinische Krise auf der persönlichen Ebene
Persönlich hatte ich am 13. Dezember 2019 nach einer medizinischen Routineuntersuchung die Nachricht erhalten, dass es Verdachtsmomente gibt, die die Gesichter der Ärzte versteinern ließen. Alle Verdachtsmomente konnten entschärft werden und eine kleine Bauchspiegelung brachte den 100% Beweis, dass alles in Ordnung ist. Daher schreibe ich.
Die Mediziner schickten mich im Eiltempo von einer Einrichtung zur anderen und entnahmen mir Blut wie Vampire, konnten aber nichts nachweisen. Aufgefallen ist mir, dass die alten, erfahrenen Ärzte, Sicherheit ausstrahlten: „Mit diesen Blutwerten haben Sie nichts, das habe ich in meiner ganzen Laufbahn noch nicht erlebt“, urteilte eine Ärztin schnell. Die Jüngeren vertrauten auf eher auf die Technik: „Seit wir so gut diagnostizieren und schnell handeln, haben wir die Überlebensrate, bei denen, die zur Vorsorge gehen, erheblich ausgeweitet.“ Hier wird deutlich, wie wichtig diverse Teams sind. Diversität nicht nur auf die Geschlechter, sondern auch auf das Alter bezogen. Getoppt wird das noch zusätzlich durch die unterschiedliche Herkunft des Teams.
Chance der Krise: Prioritäten setzen
- Warum will ich weiterleben?
- Für wen möchte ich da sein?
- Wofür möchte ich kämpfen?
Existenzielle Fragestellungen, denen wir uns stellen können und spätestens in der Krise auch dringend sollten. Wir entscheiden, von welchen Personen, Organisationen und Institutionen wir bereit sind, Hilfe anzunehmen und von wem eben nicht. Bereits getroffene Entscheidungen werden revidiert oder verfestigen sich. Sie werden ganz klar. Vor allem erkennen wir ganz unverfälscht, wer für einen da ist und für wen wir selbst noch da sein möchten.
Die Krise ist daher ein Weckruf und Chance zugleich.
Organisatorische Komponente
In der Krise wird nicht nur uns selbst bewusst, welchen Beitrag wir als Organisation für die Gesellschaft leisten. Wir tragen Verantwortung. Wir nehmen Fürsorgepflicht wahr. Treffen Güteabwägungen und ergreifen Schutzmaßnahmen. Sowohl Verharmlosung als auch Panik sind die falschen Ratgeber. Besonnenheit zählt. Wir stellen uns den neuen Bedingungen – bedingungslos.
Eine Krise führt dazu, dass in Organisationen echte Agilität und Selbstorganisation gefragt sind. Nur Buzzwörter in die Runde werfen, hilft nicht. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen.
In der Leitungsebene müssen wir nun bereit sein, die Wahrheit, die sich in der Krise auftut, zu erkennen und die Konsequenzen daraus zu ziehen. Sonst tut das jemand anders oder der Markt wird es richten. Und das ist keine wirklich gute Idee.
Wie können wir zur Lösung beitragen? Ein forschendes Mindset ist gefragter denn je zuvor. Seien wir die Lösung und nicht das Problem.
Chance der Krise: die gesellschaftliche Komponente
Niklas Luhmann hatte in der gesellschaftlichen Systemtheorie herausgearbeitet, dass das, worauf es wirklich ankommt, das Atmen ist. Atemzug um Atemzug. Als Studentin fand ich diese Erkenntnis zu reduktionistisch. Auf jedem Fall passte sie in mein „These eines alten Mannes – Schema“. Aber jetzt, zugegeben viele Lebensjahre erfahrener, in der Krise, finde ich, dass er es – wie kein anderer – auf den Punkt gebracht hatte. Natürlich geht es um weit mehr als um das Atmen, jedoch ohne, brauchen – ja können wir nicht mal – über das andere denken, reden und schreiben.
Luhmann hatte die Krise auch als eine Wahrheitsprozedur interpretiert.
Welche Wahrheiten treten bei dieser Krise wohl ans Licht?
- Auf der gesellschaftlichen Ebene?
- Auf der organisatorischen Ebene?
- Und auf der persönlichen Ebene?
Persönliche Chancen der Krise wahrnehmen
Nun haben einige vielleicht die Chance, richtig zur Ruhe zu kommen. Die innere Stille zuzulassen und vielleicht sogar lieben zu lernen. Neben dem obligatorischen Händewaschen können wir auch eine Nachrichtenhygiene betreiben. Denn ständige Horrormeldungen überfordern unser Gehirn.
Essentialismus ist gefragt. Die Oasen vor der eigenen Tür entdecken. Die Fassade „alles ist in Ordnung“ ins Wanken bringen. Veränderungen anstoßen. Die Krise als Neuanfang erkennen. Die eigene Vergänglichkeit akzeptieren. Und das Leben mit allen Sinnen genießen. Atemzug um Atemzug.
Zuletzt überarbeitet am 23.08.2022 von Edith Therese Nörthemann