Essentialismus bedeutet, sich auf die wirklich wichtigen Dinge zu konzentrieren. So finden wir die Quintessenz. Hier liegt die Würze. Doch wie trennen wir das Wichtige vom Unwichtigen?
Zeit
Fangen wir mit dem Wichtigsten an: unserer Zeit. Denn Zeit ist nichts anderes als Lebenszeit, kurz: unser Leben. Wie wollen wir unser Leben verbringen und unsere Zeit sinnvoll nutzen?
Da wir auch beim Umgang mit unserer Zeit oft mehr auf Quantität als auf Qualität achten, ist es sehr verlockend, ständig beschäftigt zu sein und uns auf diese Art und Weise wichtigzumachen, ohne es wirklich zu sein.
- Doch was wäre, wenn wir aufhörten, ‚beschäftigt zu sein‘ als Maßeinheit für unsere Wichtigkeit zu nehmen?
- Was wäre, wenn wir Sinn in unserem Leben suchten und auch fänden?
- Und dann endlich das messen würden, was wirklich wichtig ist: Wie viel Zeit haben wir für die wirklich wichtigen Dinge im Leben?
Denn nur wenn wir die Prioritäten klar bestimmen können, können wir unser Leben danach ausrichten.
Eliminieren
Essentialismus bedeutet, dass das weniger Wichtige teilweise oder ganz eliminiert wird. Viel hilft oftmals nicht viel, sondern macht oft langfristig abhängig.
- Ist nicht eine Tasse Kaffee am Tag besser als sieben?
- Sind wir nicht in vier Stunden produktiver als in zwölf?
- Ist nicht eine Kugel Eis besser als ein ganzer Eisbecher?
- Ganz bestimmt ist abends ein Glas Wein langfristig gesünder als eine ganze Flasche.
Das Gute am Essentialismus ist, dass wir auf die Dinge nicht völlig verzichten müssen. Nein, im Gegenteil, wir können diese genießen, ohne uns danach schlecht zu fühlen.
Daher sollten wir den Preis des kurzfristigen Komforts gegen den Nutzen langfristiger Erfüllung stets gut abwägen.
Essentialismus in der Arbeitsorganisation
Eiminieren heißt versiert ‚Nein‘ zu sagen. Weniger ist definitiv mehr. Ambiguitätskompetenz lässt auch hier grüßen. Das gilt besonders für die Arbeitswelt.
Da wir auch bei der Entscheidungsfindung ermüden und damit zunehmend schlechtere Entscheidungen treffen, ist es vor allem wichtig, wenige essenzielle Entscheidungen brillant zu treffen. Viel hilft hier nicht viel. Viel macht vieles kaputt.
- Haben wir immer unsere Ziele vor den inneren Augen?
- Absolvieren wir unsere Tätigkeiten mehr nach der Wichtigkeit oder nach der Dringlichkeit?
Wenn wir uns zu oft vom Termindruck leiten lassen, ist die Gefahr groß, dass wir viel zu oft das Dringliche bevorzugen. Wir verhalten uns dann wie Gejagte. Klug ist das nicht. Vor allem, weil es zu den weniger klugen Entscheidungen führt. Daher ist es bei der Arbeitsorganisation enorm wichtig, immer wieder zu reflektieren und sich diese Fragen zu stellen:
- Was ist wirklich das Wichtigste?
- Wofür möchte ich meine Zeit investieren?
- Wie sind die verfügbaren Ressourcen klug zu verteilen?
Die (geistige) To-do-Liste wird mit klaren Prioritäten samt den langfristigen Zielen versehen. Doch auch die Not-To-do-Liste leistet beste Dienste, um Ablenkungen zu minimieren. Das Beste an der Not-To-do-Liste ist, dass diese sich wie von selbst nach kurzer, erfolgreicher Einführungszeit eliminiert.
Wenn wir vieles eliminieren und damit ablehnen, bringt das nicht weniger, sondern mehr Respekt ein. Wir sind nicht (mehr) das ‚Mädchen für alles‘. Nein, wir erledigen die wirklich wichtigen Sachen. Nur das schafft den nötigen Freiraum für Kreativität. So können wir unsere Energie ganz gezielt auf das wirklich Wichtige lenken.
Mit dem versierten ‚Nein‘ sagen erlangen wir die volle Kontrolle über unsere Entscheidungen. Unsere Aktivitäten planen wir sorgfältig. Wir antizipieren mögliche Probleme und räumen diese frühzeitig aus dem Weg. So schließen wir die wichtigen Dinge erfolgreich ab. Das bringt Respekt und Anerkennung nicht nur von außen, sondern auch von innen. Wir sind mit uns selbst zufrieden.
Eine ‚List of Goals‘ bringt uns unsere eigenen Ziele und das dahinterstehende WARUM immer wieder in Erinnerung. ‚Aus den Augen – aus dem Sinn‘ kann uns dann nichts anhaben, denn wir halten an unseren Zielen auch mit unseren Augen fest.
Doch es geht nicht ausschließlich darum, die Ziele kognitiv zu erfassen. Nein, unsere Ziele sollten wir auch emotionalisieren. Wie wird es sich anfühlen, wenn wir das Ziel erreichen? Von diesem Gefühl aus planen wir rückwärts die einzelnen Schritte. Da wir verinnerlicht haben, dass der Weg das Ziel ist, genießen wir diesen Weg. Die Reise selbst bereitet zwar nicht immer Freude, aber wir sind froh, wenn wir unseren Zielen ein weiteres Stück näherkommen.
Zone of Genius
Wenn wir ohne Ablenkung an unseren Zielen kontinuierlich mit Freude arbeiten, erreichen wir unsere persönliche ‚Zone of Genius‘. Hier können wir effizient wie effektiv arbeiten. Dumme Fehler, die durch Ablenkung oder Überarbeitung entstehen, werden minimiert.
‚Schlauen Fehlern‘ kommen wir durch Reflexion auf die Schliche. Wir nehmen uns Zeit zum Nachdenken. Unser Kalender bleibt bewusst übersichtlich. Bei Schwierigkeiten, die immer kommen werden, geben wir nicht auf. Nein, wir heißen diese als Chancen willkommen.
Wir erkunden und erforschen neue effiziente wie effektive Wege. Wir probieren Neues aus. Denn Innovation prägt unsere Arbeits- und Lebenseinstellung. Neugier, Forschung und Entwicklung gehören dazu. Wir nehmen uns auch Zeit zum Spielen. Diese Play-Time hilft uns. Wir können schnell und tief entspannen. So kann unser Bewusstsein neuartige Verbindungen knüpfen und Ideen entfalten.
Zu vielen sehr guten Möglichkeiten sagen wir ‚Nein‘, nur um zu den besten ‚Ja‘ sagen zu können. Wir gehen an 999 Türen vorbei, um durch die 1000. durchschreiten zu können. Dabei prüfen wir genau, dass wir nicht falsch abgebogen sind. Wir sind auf dem richtigen Weg. Wenn wir uns dann doch mal verirren, wie es immer wieder passiert, wenn man Neuland erkundet, nehmen wir unverzüglich Korrekturen vor.
Wir fassen uns knapp, denn in der Kürze liegt bekanntlich die Würze. So haben wir genügend Zeit für die wichtigen Dinge.
Auch für den Schlaf, denn einen Schlafmangel sollten wir uns nicht leisten. „Jeder großer Fehler, den ich begangen habe, resultierte aus Schlafmangel“, so bringt Bill Clinton die Wichtigkeit des Schlafes auf den Punkt.
Essentialismus im Business
Ob in Bonn, Düsseldorf oder Amsterdam – derzeit gibt es auf den Messen weniger Aussteller, kleinere Stände und weniger Publikumsverkehr. Jedoch ist der Wunsch nach Essentialismus, also nach tiefer Substanz mit treffender Relevanz allgegenwärtig: „Können wir mit dem verdammten Buzzword-Bullshit aufhören“, fragte ein CEO und sprach der Menge aus tiefster Seele. Statt Buzzwords erwartet das Fachpublikum das wirklich Relevante im richtigen Kontext.
Geschwätzigkeit ist out, gute Gespräche sind in. Das WARUM und der USP werden bei den Firmen und ihren Produkten auch von B2B-Kunden gesucht und viel zu oft nicht gefunden. Entscheidend ist immer, was tatsächlich beim Fachpublikum ankommt. Daher lenkt die Show drumherum viel zu sehr vom Wesentlichen ab. Essentialismus bedeutet: ohne Schnickschnack direkt zu den Fakten, das Wesentliche auf den Punkt gebracht, denn nur das deckt die Erwartungen der Profis. Show erwarten wir anderswo.
Wenn jedoch das WARUM, der USP und die Zahlen stimmen, dann feiert die Audienz so und so das Unternehmen, auch wenn diese explizit aufgefordert wird, nicht jede Folie zu beklatschen. So war es kürzlich auf der Aktionärsversammlung in Texas zu beobachten. Die wirklich Erfolgreichen haben Tamtam nicht nötig. Sie lassen die Erfolge für sich sprechen.
Zuviel Entertainment wird daher in der Geschäftswelt deutlich abgelehnt:
„Hört auf mit dem Glitzer“ ist zu lesen.
Die Sehnsucht nach Substanz ist groß. Essentialismus ist gefragt.
Essentialismus an der Börse & anderswo
‚Versuchungen zu widerstehen‘ ist eng mit langfristig nachhaltigem Erfolg verbunden. Da wollen wir Warren Buffett, einem der erfolgreichsten Aktienanleger der Welt, nicht widersprechen. Vielmehr leiten wir eine wichtige Regel nicht nur für das Business ab: Essentialismus bedeutet, den kleinen und großen Versuchungen zu widerstehen. Am besten kann es uns gelingen, wenn wir uns den Versuchungen gar nicht erst aussetzen. Wir kennen unsere Schwachpunkte genau. Am besten, wir eliminieren die Versuchungen.
Auch bei Verhandlungen ist Essentialismus gefragt: weniger oft mehr. Nur wer auch Schweigen kann, kann auch gewinnen.
Reden ist Silber. Schweigen ist Gold.